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11.04.2022 / Joachim Trauboth
Görlitz. Sie haben die Ukraine hinter sich gelassen, Gepäck haben sie kaum, aber zum Teil tragen sie trotzdem schwer. Das Erleben von Bomben und Raketen, Willkür und Gewalt durch Soldaten, die Angst um die begleitenden Kinder, die Sorgen um die in der Ukraine verbliebenen Angehörigen und Freunde, der Blick auf eine ungewisse Zukunft – das ist oft mehr als eine Seele verarbeiten kann. Frauen und Kinder, die diese Erfahrungen machen mussten, brauchen Hilfe. Neben der existentiellen Unterstützung durch die deutsche Bevölkerung bedarf es der professionellen Hilfe durch muttersprachliche PsychologInnen und SozialpädagogInnen, um entstandene Traumata verarbeiten zu können und zu lindern.
Wer in den Koordinierungsstellen und Ämtern arbeitet, die sich um die Flüchtlinge aus der Ukraine kümmern, erlebt die Verzweiflung der hier gestrandeten Menschen hautnah. Für Joachim Trauboth und seine Frau ist es die zweite Flüchtlingswelle, die sie in Görlitz erleben. Im Jahr 2015 kümmerten er und seine Frau sich um die ankommenden syrischen Geflüchteten. Als Beauftragter für Migration und Integration des SPD Ortsvereins Görlitz und des SPD Kreisverbands Görlitz engagierte er sich weiter für die Migranten in Görlitz.
Und dann kamen die Menschen aus der Ukraine. Nun arbeitet das Ehepaar arbeitsteilig. Sie betreut weiterhin die Syrerinnen und Syrer. Bei ihm stehen zur Zeit die Ukrainer im Vordergrund.
Joachim Trauboth bemühte sich Ende März um die Unterbringung einer Mutter mit vier kleinen Kindern. Eine leerstehende Wohnung war dank der Großzügigkeit eines Görlitzer Hausbesitzers bald gefunden, schon nach 24 Stunden war das neue Heim der Familie wohnlich eingerichtet, die Kinder fielen über das bereitstehende Spielzeug her, alle waren so glücklich, wie man es unter diesen Umständen nur sein kann. Dann klingelte das Telefon der Mutter. Joachim Trauboth musste ihren totalen nervlichen Zusammenbruch erleben. Der Anrufer aus der Ukraine hatte berichtet, dass der Ehemann und Vater der Familie bei Kriegshandlungen schwer verletzt worden ist und auf einer Intensivstation in der Ukraine um sein Leben ringt. Joachim Trauboth konnte in dieser Situation nicht richtig helfen. Das war einer der Momente, in denen man sich wünscht, einen Psychologen zur Seite zu haben.
Trauboth musste feststellen, dass es eigentlich in ganz Sachsen keine ausreichende und schnell bereitstehende Versorgungsstruktur gibt, auf die er und die ukrainische Mutter hätten zurückgreifen können. In anderen Bundesländern sieht es nicht viel besser aus. Gleichzeitig fürchtete Trauboth, dass es immer wieder bei den inzwischen hier lebenden Ukrainerinnen zu psychischen Krisen kommen kann, solange die Kämpfe in ihrer Heimat anhalten.
Und dann erlebte Trauboth eine Reihe von Ereignissen, die er als „wunderbare Fügung“ bezeichnet. Er kam in Görlitz in Kontakt mit der ebenfalls geflüchteten ukrainischen Diplompsychologin Marharyta Harahulia. Mit ihr besprach er das Versorgungsdefizit und seine Idee, ein Beratungszentrum und Selbsthilfeinitiative für traumatisierte Frauen und Kinder aus der Ukraine zu gründen. Marharyta erklärte sich einverstanden mitzuarbeiten.
Die ENO auf der Görlitzer Elisabethstraße stellte dafür Praxisräume zur Verfügung und bot auch eine Grundeinrichtung an. Das Möbelwerk Niesky stellte eine Vielzahl neuer Kindergartenmöbel zur Verfügung. Die SWG unterstützte in Sachen elektronischer Ausstattung. Freunde und Verwandte von Trauboth halfen mit Barspenden. Der finanzielle Aufwand Eine Kooperation mit Görlitz für Familie e.V. ermöglichte das Ausstellen von Spendenquittungen.
Und dann wieder eine Fügung. Auf dem Wilhelmsplatz in Görlitz traf Trauboth eine ukrainische Mutti mit Kind. Im Gespräch stellte sich heraus, dass auch sie Diplompsychologin ist. Trauboth stellte den Kontakt zwischen den beiden Psychologinnen her und da waren sie auch schon ein Team.
Und es ging weiter: Zu der Gruppe stießen Viktoriia Sheliia, eine in der Krisenintervention erfahrene Diplompsychologin und, Irina Samussevich eine Sozialpädagogin mit Expertise in der Betreuung von verhaltensauffälligen Kindern.
Alle Teammitglieder haben den Wunsch, ehrenamtlich den Ukrainerinnen aus Görlitz und Umgebung zur Seite zu stehen. Da sie keine Kassenzulassung haben, arbeiten sie als „Selbsthilfegruppe“. Vielleicht könnte man sich auch um eine „Notzulassung“ der ukrainischen Diplompsychologinnen kümmern. Aber Trauboth vermutet, dass noch sehr viel Wasser durch die Neisse fließt bis das realisiert werden kann. Außerdem beginnt mit der Möglichkeit, Kassenleistungen abzurechnen auch ein erheblicher Verwaltungsaufwand, unter dem auch schon die hiesigen Ärzte leiden. „Verwaltung heilt aber nicht“, meint Trauboth. „Die Zeit, die wir haben, soll ausschließlich den Frauen und Kindern zur Verfügung stehen.“ Dabei steht die Gruppenarbeit mit Kindern und Müttern im Vordergrund.
Die Beratungsstelle vergibt Termine nach telefonischer Voranmeldung. Unter der Rufnummer 0151 56530851 ist das Krisentelefon täglich von 8 Uhr bis 20 Uhr erreichbar.